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Susanne Breidenbach von der Galerie M über die Unersetzlichkeit von Kunst

Kunst blickt hinter das Offensichtliche.

Das ist einer der Leitsätze von Susanne Breidenbach, die seit 2003 Inhaberin der Galerie m ist. „Kunst erregt unsere Aufmerksamkeit”, erklärt sie. „Sie stellt unsere gewohnte Wahrnehmung in Frage, ermöglicht neue Perspektiven, zeigt ungewöhnliche Zusammenhänge auf und wirkt inspirierend.” Diese Anziehungskraft steht seit fast zwei Jahrzehnten im Vordergrund ihres Weges als Leiterin der Galerie für zeitgenössische Kunst in der nordrhein-westfälischen Stadt Bochum.

1969 von Alexander von Berswordt-Wallrabe gegründet und seit 1972 in großzügigen, lichtdurchfluteten Galerieräumen auf dem Gelände von Haus Weitmar untergebracht, fand die Galerie zunächst mit ihrem Schwerpunkt Neue Konkrete Kunst großen Anklang. Unter der Leitung von Breidenbach, der seit 1985 in der Galerie tätig ist, hat sich die Galerie jedoch einen Ruf für ihre symbiotische Beziehung zu den von ihr vertretenen Künstler*innen und ihren Ansatz für neue Perspektiven in der Kunstwelt erworben.

Jedes Jahr wird mindestens von einer neuen künstlerischen Position eine Ausstellung in der Galerie angeboten, so dass neue Perspektiven gleichberechtigt neben den etablierten Positionen vertreten sind. Es ist die Vielfalt an zeitgenössischen Künstler*innen, die es der Galerie m ermöglicht hat, an die Spitze der zeitgenössischen Kunst zu treten und gleichzeitig einen Fuß fest in ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte zu behalten.

Diese starke Mischung aus jungen und etablierten Künstler*innen war Anfang April 2022 auf der Art Düsseldorf in vollem Umfang zu sehen. Als wir die Industriehallen des Areals Böhler öffneten, wurde der Stand der Bochumer Galerie zum Anziehungspunkt für die Besucher*innen. Wir haben uns mit Breidenbach über die Geschichte der Galerie, die Anpassung an die Pandemie und die Bedeutung von Kunstmessen unterhalten.

Kuno Gonschior. "Untitled", 1986. oil on canvas. 120 x 100 cm. ©Asset Kuno Gonschior. Courtesy Galerie m, Bochum.

Zoe Dittrich-Wamser. "Vertex", 2021. Papier, Garn, Keramik. 45 x 18 x 17 cm. © Zoe Dittrich-Wamser. Mit freundlicher Genehmigung der Galerie m, Bochum.

Was ist das Schlüsselelement für ein gutes Kunstwerk?

Wir glauben an die „Unersetzbarkeit des Bildes“, die uns immer wieder ein tieferes Verständnis ermöglicht auch in Prozesse, Erfahrungen, Zusammenhänge, die sich anderen Formulierungen, wie z.B. der Sprache entziehen. In und mit der Kunst lässt sich das Leben, der eigene Standpunkt und die eigene Existenz reflektieren.

Was zeichnet Ihre Galerie aus?

Die Galerie wurde 1969 gegründet und hat seitdem ein vielfältiges Programm entwickelt. Seit jeher engagieren wir uns für junge künstlerische Positionen wie Zoe Dittrich-Wamser und begleiten und zeigen die aktuellen Werkentwicklungen unserer Künstler*innen. Der persönliche Kontakt und ein intensiver Austausch sowohl mit den Künstler*innen als auch Sammler*innen und Kurator*innen sind uns wichtig. Wir nehmen uns Zeit und arbeiten eng u.a. mit Lucinda Devlin, Thomas Florschutz, Simone Nieweg, Franka Hörnschemeyer, Evelina Cajacob, Antje Dorn, Caroline von Grone, Lena von Goedeke, Peter Wegner oder Melanie Manchot sowie mit den Nachlässen von Evelyn Hofer, Barbara Köhler, Kuno Gonschior und Dirk Reinartz zusammen.

Mit unseren Ausstellungen schaffen wir Erfahrungsräume, stellen Dialogsituationen her und setzen uns für eine nachhaltige Vermittlung ein. Für Sammler*innen bedeutet dies, dass sie ihre Entscheidungsprozesse fundiert vollziehen können. Die Räume der Galerie wurden als Ausstellungsräume geplant und 1974 eröffnet, sie bieten ideale Voraussetzungen für unterschiedlichste Ausstellungsprojekte und ungewöhnliche Installationen und wirken bis heute inspirierend auf Künstler*innen wie auf unsere Gäste.

Tanya Poole. "Der Nachtführer", 2020, Tusche auf Papier, 140 x 200 cm. 
© Tanya Poole. Mit freundlicher Genehmigung der Galerie m, Bochum.

Der persönliche Kontakt ist und bleibt wesentlich für uns, ebenso wie die direkte Anschauung der Kunstwerke.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Kunstwerke ausgewählt, die Sie auf der Art Düsseldorf zeigen?

Zum einen wollten wir einen Einblick in die neuesten Entwicklungen im Werk unserer Künstler*innen geben, zum anderen aktuelle Anlässe wie den 100. Geburtstag der Fotografin Evelyn Hofer würdigen. Außerdem haben wir uns mit dem bildhauerischen Werk der in Düsseldorf lehrenden Bildhauerin Franka Hörnschemeyer beschäftigt.

Der gnadenlose Krieg in der Ukraine hat uns persönlich ebenso bewegt wie die drohende Wiedereinführung der Todesstrafe in Russland oder die 81 Hinrichtungen an einem Tag in Saudi-Arabien. Die Fotografien aus Dirk Reinartz’ Serie „totenstill” und aus Lucinda Devlins Serie „The Omega Suites” verwiesen emblematisch auf die grausame Unmenschlichkeit, zu der unsere Zivilisation im historischen wie im aktuellen Kontext fähig ist. In der Galerie m haben wir schon immer künstlerische Formulierungen der Abgründe unserer Geschichte und Gegenwart vermittelt und gezeigt. Die aktuelle Weltlage zeigt mehr denn je, wie wichtig dieses Engagement ist.

Wie ist Ihre Galerie mit der Pandemie umgegangen?

Wir haben von Beginn an die Situation sehr ernst genommen, uns immer wieder flexibel auf z.B. Verschiebungen von Museumsausstellungen und Verlängerungen von Leihgaben eingestellt und damit auch unseren Ausstellungspartner*innen mehr Freiraum ermöglicht.

Die Galerie bietet mit ihren großzügigen Räumen und dem Gartengelände ideale Möglichkeiten für entspannte Begegnungen trotz der gebotenen Schutzmaßnahmen. So können wir auch seit Beginn der Pandemie regelmäßig Besucher*innen in unseren Ausstellungen empfangen und mit Sammler*innen und Kurator*innen gezielt in Werkbereiche eintauchen.

Dies wird jetzt in seiner Bedeutung mehr denn je bewusst kultiviert. Bei allem intensivierten Bemühen um eine digitalisierte Vermittlungstätigkeit wie zum Beispiel mit Filmdokumentationen der Ausstellungen zeigt sich die Unersetzbarkeit der unmittelbaren Erfahrung des Kunstwerkes. Der persönliche Kontakt ist und bleibt wesentlich für uns, ebenso wie die direkte Anschauung der Kunstwerke, vor Ort, im Original.

Evelyn Hofer. "Girl with Bicycle, Dublin", 1966. Farbstofftransfer. 41,6 x 33,5 cm (50,5 x 40,5 cm). © Nachlass von Evelyn Hofer, mit freundlicher Genehmigung der Galerie m, Bochum, Deutschland.

Lucinda Devlin. "Elektrischer Stuhl, Holman Unit, Atmore, Alabama", 1991. Chromogener Druck. 74 x 74 cm (100 x 100 cm). 
© Lucinda Devlin. Mit freundlicher Genehmigung der Galerie m, Bochum.

Die Galerie gibt es seit über 50 Jahren, aber die Kunstwelt ist immer noch dabei, sich in Bezug auf Geschlecht, Rasse, sexuelle Orientierung und andere Faktoren zu diversifizieren. Welchen Einfluss haben Repräsentation und Ungleichheit in der Kunstwelt auf Ihren Entscheidungsprozess als Galerie?

Die Galerie m hat eine lange Tradition, auch Krisen und Umbrüche in ihren Ausstellungen und ihrem Engagement zu thematisieren. Davon zeugen die Serien, die jeweils intensiv auch in Museen gezeigt wurden, wie zum Beispiel: „Hiroshima” von Arnulf Rainer (heute Lenbachhaus, München), „totenstill“ von Dirk Reinartz (heute Situation Kunst, Bochum), “The Omega Suites“ von Lucinda Devlin (heute u.a. Kunststiftung DZ Bank), „Kreuzweg“ von Stephan Schenk (heute u.a. in der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages).

Humanitäres Engagement zeigen wir im Verbund mit unseren Künstler*innen in „Susret“ 1994 (Engagement für Flüchtlingsfrauen aus dem Balkankrieg) und „Shelter“ 2001 (Art against trafficking in woman and sexual exploitation). Genderfragen werden in der „Ballad of Sexual Dependency“ von Nan Goldin ebenso thematisiert wie Aids und Drogen, 1992 erstmalig als Ausstellung in der Galerie m gezeigt (heute Kunsthalle Hamburg). Caroline von Grone setzt sich in ihrer Malerei kontinuierlich mit Drogenabhängigen und Obdachlosen auseinander, die sie portraitiert, Melanie Manchot erarbeitete 2015 mit Drogenabhängigen im Entzug die Filmserie „Twelve“.

Der Klimawandel erzwingt eine Auseinandersetzung mit Natur in besonderer Weise, dies greifen Künstler*innen wie Tanya Poole mit ihren großformatigen Tuschelavur-Malereien und Lena von Goedeke mit ihren Werken, die im Polarkreis entstehen, auf. Fotografisch berichtet Lucinda Devlin in „Field Culture“ von der industrialisierten Landwirtschaft in den USA und Anja Bohnhof in „The Last Drop“ von dem weltweit allgegenwärtigen Wassermangel und seinen heftigen Konsequenzen auf das Leben von vor allem Frauen.

Was erwarten Sie von Kunstmessen in der Zeit nach der Pandemie?

Trotz zunehmender Digitalisierung bleibt unseres Erachtens die direkte Anschauung, die Erfahrung von Kunst, der persönliche Kontakt vor Ort wesentlich für die Vermittlung. Insofern gehen wir davon aus, das Kunstmessen weiterhin ein wichtiger Faktor bleiben werden, weil hier in kurzer Zeit eine große Vielfalt [an Kunst] verbunden mit persönlichem Kontakt wahrgenommen werden kann.

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