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Franka Hörnschemeyer ergründet die Materialität der Dinge

„Körper ist Raum und Raum ist Körper.“

Das ist das Mantra, das die Arbeit von Franka Hörnschemeyer leitet. Seit ihrem Eintritt in die Kunstszene im Jahr 1989 hat sich die Künstlerin einen Namen gemacht mit ihren skulpturalen Arbeiten und ihren raumgreifenden Installationen, in denen sich die Besucher durch ein labyrinthisches Geflecht visueller Empfindungen bewegen. Für besonderes Aufsehen in der internationalen Kunstszene sorgte 2001 ihre Arbeit „BFD – bündig fluchtend dicht“, eine aus roten und gelben Eisengittern konstruierte Raumskulptur, die einen der nördlichen Innenhöfe des Deutschen Bundestages einnimmt.

Für Hörnschemeyer liegt der Schlüssel zu einer unvergesslichen Kunst nicht nur im Konzept, sondern auch im Material. Ihre Arbeit steht in ständigem Dialog mit einer Überlegung Franz Kafkas, dass jeder Mensch einen Raum in sich trägt. „Bildhauerei bedeutet für mich, unerwartete Beziehungen zwischen Materialien zu erforschen“, sagt sie. „Tatsächlich betrachte ich mich selbst auch als Material.“

Da die Galerie m auf der diesjährigen Art Düsseldorf in Stand A-03 Arbeiten von Hörnschemeyer präsentiert, sprachen wir mit der Künstlerin über ihre Arbeit als Professorin für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf, die Bedeutung von Missverständnissen und ihre lebenslange Leidenschaft für die Erforschung von Körper und Raum.

Franka Hörnschemeyer. "Aktenkeller 1", 1994. Gipskarton, Papier, Holz. 37 x 40 x 13 cm. ©Franka Hörnschemeyer, Courtesy Galerie m, Bochum.

Welche Botschaft möchten Sie den Betrachtern mit auf den Weg geben, die Sie auf der Art Düsseldorf ausstellen?

Im Augenblick kann sich wohl niemand der geopolitischen Lage entziehen, dem Krieg, den Umweltkrisen und der Pandemie. Meine Arbeiten, wie auch die hier auf der Messe, untersuchen Grenzen und kreisen um die Frage nach der Beziehung zwischen Körper und Raum und den Beziehungen zwischen Dingen und Menschen. Ich denke, dass Information viel entscheidender für die Erscheinungsform der Welt ist als Materie. Information ist das Dazwischen, der relative Raum zwischen der Materie. Man kann erforschen, woher das Material kommt, woraus es besteht, wie alt es ist und wie es sich entwickeln wird, welche psychologischen und sozialen Aspekte es hat. Und genauso gehe ich mit den Bedingungen von Raum um. Ich glaube, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Körper und Raum. Körper ist Raum und Raum ist Körper. Das ist mein Werkzeug für die Wahrnehmung der Welt, und das ist das, was ich weitergeben möchte.

Was hat Sie zu den Werken inspiriert, die Sie auf der Art Dusseldorf zeigen?

Unser Blick ist kulturell geprägt und wir erfahren unsere Umwelt durch unseren Körper. In meinen Arbeiten gebe ich Richtungen vor, Bewegungs- und Blickrichtungen. Räume werden scheinbar getrennt oder durch einen Kanal verbunden, der gleichzeitig sendet und empfängt. Ihre Beschaffenheit steht in Beziehung zu unserem Standort und gleichzeitig zu unseren Empfindungen und Erinnerungen, unserer Wirklichkeit. Das hat natürlich mit Form zu tun; die Grenze ist die Form. Mich beschäftigen Fragen wie: Was ist vorne und was ist hinten? Wie komme ich von hier nach dort, und wie kann ich die Seite wechseln? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen damit zufrieden sind, sich auf die Oberfläche zu konzentrieren. Ich bin eher neugierig auf das, was darunter oder dahinter liegt.

Ich glaube, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Körper und Raum. Körper ist Raum und Raum ist Körper.

Franka Hörnschemeyer. "House 6", 1993. plasterboard on wooden slats. 52 x 26 x 4.5 cm. ©Franka Hörnschemeyer, Courtesy Galerie m, Bochum.

Wie hat sich Ihre künstlerische Praxis auf die Pandemie eingestellt?

Ich habe das Glück, in meinem Atelier weiterarbeiten zu können. Der Rückzug vom Öffentlichen ins Private und pandemiebedingte Verschiebungen von Ausstellungen haben mich in meiner künstlerischen Tätigkeit nicht wesentlich beeinträchtigt. Die Pandemie sehe ich als Wirkung einer tieferen Ursache, die im menschlichen Verhalten begründet ist, im Umgang miteinander und mit der Natur. Da ich mich mit Fragen nach Beziehungen im Raum auseinandersetze, hat auch die Pandemie meine Arbeit verändert. Wenn Räume verlassen werden, bleiben Spuren der Anwesenheit; sie speichern Zeit und verändern sich dabei stetig.

Wie wichtig sind Kunstmessen für Sie als Künstler? Hat sich daran durch die Pandemie etwas geändert?

Kunstmessen sind ein Ort, an dem mit Kunst gehandelt wird, ein Ort, der bestimmten Regeln folgt. Ich interessiere mich zwar für Regeln, Systeme und Strukturen, gehe jedoch eher in Museen, Kunstinstitutionen und Galerien, um Kunst zu erleben. Diese Orte in den letzten Jahren wegen der Pandemie so oft verschlossen zu erleben, fand ich bedauerlich.

Wie kamen Sie zur Galerie M?

2019 habe ich während einer Ausstellung im Museum unter Tage in Bochum die raumgreifende Arbeit “Opak 519” gezeigt und bin dort der Galeristin Susanne Breidenbach begegnet. Seitdem hat sich eine intensive und konstruktive Zusammenarbeit entwickelt.

Franka Hörnschemeyer und Galeristin Susanne Breidenbach in der Ausstellung „Axiom 421“ at Galerie m, Bochum 2021. ©Franka Hörnschemeyer. Fotograf: Donat Schilling. Courtesy Galerie m, Bochum.

Wenn Räume verlassen werden, bleiben Spuren der Anwesenheit.

Franka Hörnschemeyer: "Opak 519" at Museum unter Tage, Bochum 2019. Schalelemente, Ankerseile. 415 x 970 x 1314 cm. ©Franka Hörnschemeyer. Fotograf: Donat Schilling.

Was hat Sie ursprünglich an der Bildhauerei gereizt?

Ich habe mich schon als Kind für Raum interessiert und war neugierig, wie Räume mich verändern können und wie ich sie verändern kann. Dabei habe ich nie zwischen Körper und Raum unterschieden, und diese Erfahrungen nutze ich bis heute in meiner skulpturalen Arbeit.

Sie arbeiten auch als Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Was ist die wichtigste Lektion, die Sie jungen Künstlern vermitteln wollen?

In der Akademie sprechen wir über die Erweiterung der Möglichkeiten unserer Mittel, alles kann dafür wichtig sein, und es gibt keine Sicherheit. Wir wissen vorher nicht, wohin wir uns bewegen und halten uns am liebsten auf unbekanntem Gelände auf, denn wir erkennen nur das, was wir kennen.

Was ist eines der größten Missverständnisse über die Kunstwelt, das Sie versuchen, mit Ihren Studenten auszuräumen?

Künstlerische Auseinandersetzung ist für mich Kommunikation, und Wissenslücken sind die Basis dafür, sie sind der Faktor für Austausch und Ergänzung von Information. Aus Wissenslücken entstehen Missverständnisse, die man – auch in perspektivischer Verschiebung – nebeneinander platzieren kann. So betrachte ich Missverständnisse, große und kleine, selbst wenn sie im Moment unangenehm sind, als Bedingung für Bewegung.

Ich sehe Bildhauerei als das Erforschen von unerwarteten Beziehungen zwischen Materialien.

In Ihren Arbeiten setzen Sie sich mit der Nutzung des Raums und seiner Beziehung zum menschlichen Körper auseinander. Was zieht Sie an diesen Themen immer wieder an?

Wesentlich für die Entwicklung meiner Arbeiten sind Dialoge mit dem Material, oft Werkstoffe wie Schalungselemente, Gipskarton oder Aluminiumwabenverbund, die für die zügige Konstruktion von Gebäuden verwendet werden. Ich unterhalte mich mit Räumen, erkunde Eigenheiten, wie die frühere Identität eines Ortes, und operiere nicht nur auf einer räumlichen, sondern auch auf einer zeitlichen Achse. Die Bedeutung eines Materials liegt in seiner Herkunft, seiner Geschichte, seiner Produktion und seiner Funktion, und wenn man genau zuhört, erfährt man einiges. Kafka sagte einmal, dass jeder Mensch ein Zimmer in sich trage, und dass man diese Tatsache sogar durch das Gehör nachprüfen könne: „Wenn einer schnell geht und man hinhorcht, etwa in der Nacht, wenn alles ringsherum still ist, so hört man z.B. das Scheppern eines nicht genug befestigten Wandspiegels.“

Ich sehe Bildhauerei als das Erforschen von unerwarteten Beziehungen zwischen Materialien. Tatsächlich betrachte ich mich selbst auch als Material. Die Beziehung zwischen den Materialien oszilliert, und so kann man von Zeit zu Zeit auch ein Stück Aluminiumwabenverbund sein, das in die Welt schaut.