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Thomas & Alexander Levy: Ein Dialog zwischen Kunstgenerationen

Vater und Sohn schließen sich für eine neue Berliner Galerie zusammen.

Manchmal durchziehen besondere Merkmale den Stammbaum einer Familie und scheinen untrennbar damit verbunden zu sein. Im Fall der Familie Levy ist ihre DNA eindeutig von ihrer Leidenschaft für die Kunst durchdrungen.
Im Jahr 1970, vor nun mehr als einem halben Jahrhundert, eröffnete Thomas Levy seine Galerie im Herzen von Hamburg. Über die Jahrzehnte hinweg führte er die Galerie stets durch neue Richtungen der zeitgenössischen Kunst – vom Surrealismus über die Pop Art bis hin zum Nouveau Réalisme. Dieses Umfeld und insbesondere die vielen Künstler*innen, mit denen Thomas und seine Ehefrau Traute befreundet waren, prägten das Aufwachsen ihres Sohnes Alexander. Während der zahlreichen Ausstellungen, die sie in ihrer Galerie ausgerichtet haben, beherbergten sie in ihrem Zuhause Künstler*innen wie Meret Oppenheim, Man Ray und Daniel Spoerri.

So ist es nicht verwunderlich, dass Alexander 42 Jahre nach der Eröffnung der LEVY Galerie seines Vaters im Jahr 2012 schließlich seine eigene, nach ihm benannte Galerie in Berlin eröffnete. Gemäß dem alten Sprichwort: Wie der Vater, so der Sohn.
In den letzten zehn Jahren haben Künstler*innen aus aller Welt – darunter Spanien, Israel und Russland – sowohl in der LEVY Galerie als auch bei alexander levy beeindruckende Werke zeitgenössischer Kunst ausgestellt, was zu einem ständigen Zuwachs an einzigartigen Positionen in den jeweiligen Galerien führte.

Im Zuge der Auseinandersetzung mit soziopolitischen und künstlerischen Themen – darunter eine globale Pandemie, die die Kunstwelt unwiderruflich verändert hat – wurde es Zeit für den naheliegenden nächsten Schritt auf ihrem Weg als Kunstkuratoren: die Eröffnung eines gemeinsamen Galerieraums.
In einem für die Familie und die gesamte deutsche Kunstszene historischen Ereignis haben sich die LEVY Galerie und alexander levy in Berlin-Moabit zusammengeschlossen. Der neue Raum in Alt Moabit 110 wurde mit einer Eröffnungsausstellung mit Werken von Meret Oppenheim, Man Ray und Daniel Spoerri aus der LEVY Galerie sowie einer politisch aufgeladenen Videoinstallation des russisch-österreichischen Künstlers Egor Kraft mit dem Titel „Lies, Half-Truths & Propaganda [The Bad, the Worse, and the Worst]” eingeweiht.

Nach ihrer Präsenz auf der Art Düsseldorf und vor der Eröffnung des Gallery Weekend Berlin (lesen Sie hier unseren Guide) trafen sich Thomas und Alexander Levy mit Chris Erik Thomas zu einem umfassenden und generationenübergreifenden Gespräch über die Rolle der Kunst in ihrer Familie, die gegensätzlichen Kunstszenen von Berlin und Hamburg und die Entstehung ihres neuen gemeinschaftlichen Galerieraums.

Traute und Thomas Levy, 1976. © 2020 alexander levy.

Die LEVY Galerie gibt es seit 1970, während alexander levy im Jahr 2012 gegründet wurde. Alex, welche Lektionen haben Sie von Ihrem Vater gelernt? Und Thomas, was konnten Sie von Ihrem Sohn lernen?

AL (Alexander Levy, *1984): Von meinem Vater habe ich vor allem gelernt, wie wichtig persönliche und private Beziehungen zu den Künstler*innen sind, mit denen man erfolgreich zusammenarbeiten will. Das heißt, zu verstehen, dass eine gelungene Zusammenarbeit menschliche, freundschaftliche Wurzeln braucht. Ich konnte beobachten, wie er sich mit Persönlichkeiten und Künstler*innen umgab, mit denen er auch befreundet war. Schließlich geht es nicht nur um den Handel mit Waren und Gegenständen, sondern auch um den Austausch zwischen Menschen und Ideen.

TL (Thomas Levy, *1947): Ich lerne nach wie vor von meinem Sohn, dass man Ausstellungen unterschiedlich anordnen muss, dass z.B. die visuelle Präsentation, die Ausstellungsgestaltung, einen direkten Einfluss auf die Narration der Werke hat und dass man gezielt einen Dialogkontext schafft.

Alex, deine Mutter [Traute] spielte ebenfalls eine Schlüsselrolle im Galeriebetrieb deiner Familie. Welche Qualitäten hat sie an dich weitergegeben, die dir heute als Galerist helfen?

AL: Meine Mutter hat sich vor allem um die persönlichen Beziehungen innerhalb des Galeriebetriebs gekümmert und mit ihrer herzlichen Art die Atmosphäre bei den Eröffnungen und Veranstaltungen geprägt. Sie sorgte auch für Ordnung und Struktur während der Vorbereitungen sowie im Tagesgeschäft und behielt das große Ganze im Blick – auch finanziell.

Meret Oppenheim, Man Ray, Daniel Spoerri – sind das Namen, mit denen du aufgewachsen bist, Alex? Wahrscheinlich hast du Oppenheim gekannt, kannst dich aber selbst nicht mehr an sie erinnern; mit Daniel Spoerri hast du aber tatsächlich eine enge Verbindung, so wie dein Vater?

AL: Ich erzähle immer, dass Meret Oppenheim mir vorgelesen hätte, aber das stimmt gar nicht, also habe ich das falsch in Erinnerung. Daniel Spoerri kenne ich natürlich gut und verbringe gerne Zeit mit ihm. Er ist unglaublich charmant und witzig, und meine Eltern sind ihm sehr zugetan.

Meret Oppenheim. "Plakat Pelztasse (fond rouge)", 1971. Offsetdruck (nach einer Fotografie von Man Ray). 53 x 76 cm. Foto: Henning Rogge. Courtesy: Galerie LEVY, © ProLitteris, Schweiz.

IN BERLIN GIBT ES EINE [KUNSTSZENE], IN HAMBURG NICHT.

Meret Oppenheim. "Wort, eingewickelt in giftige Buchstaben (wird transparent)", 1970. Objekt: Schnur, gravierte Messingplatte. 31 x 14 x 39,5 cm. Foto: Henning Rogge. Courtesy: Galerie LEVY, © ProLitteris, Schweiz.

Kunst ist offensichtlich ein zentrales Grundelement in Ihrer Familie, aber können Sie etwas dazu sagen, wie Kunst und die Kunstwelt Sie beide beeinflusst haben?

AL: Da ich mit Kunst aufgewachsen bin, war es für mich elementar, irgendetwas anderes Kreatives zu machen, also bin ich zunächst in die Welt der Musik eingetaucht und war im Ausland. Aber dann kehrte ich zur Kunst zurück, weil sie ein direkter Filter der Gesellschaft und aktueller Themen ist. Hier werden Ideen umgesetzt, die unser Verständnis für unsere Umwelt und die menschlichen Strukturen maßgeblich beeinflussen.

TL: Für mich war Kunst schon immer ein Teil meines Lebens, und ich kann mir meinen Alltag nicht ohne sie vorstellen.

Was ist das Kernstück eines guten Kunstwerkes?

AL: Kunst muss Fragen stellen und neue Perspektiven aufzeigen.

TL: Kunst muss innovativ sein und die Zeit reflektieren, in der sie geschaffen wurde.

Was waren die größten Veränderungen in der Kunstwelt, die Sie seit der Eröffnung Ihrer jeweiligen Galerien erlebt haben?

TL: Als ich meine Galerie zum ersten Mal eröffnete, war die gesellschaftliche Resonanz für Kunst viel weniger [wichtig]. Heute ist sie enorm.

AL: …ob das nur an der künstlerisch-kreativen Leistung liegt oder auch an dem investigativen Interesse?

Wie hat sich das Galeriewesen in den letzten Jahrzehnten verändert? Was sind die neuen Herausforderungen – insbesondere im Hinblick auf die Online-Präsenz?

TL: Als ich 1970 anfing, gab es eine solche digitale Präsenz noch nicht. Das bedeutete, dass die Kund*innen früher hauptsächlich in die Ausstellungsräume kamen, und dass die persönliche Begegnung maßgeblich den Kunstkauf beeinflusste. Heutzutage ist der Verkauf über das Internet sehr wichtig geworden und wurde durch die Pandemie und die eingeschränkte Mobilität noch weiter verstärkt.

AL: Sichtbarkeit und Reichweite haben durch die Digitalisierung des Kunstmarktes erheblich zugenommen. Die Online-Präsenz als Plattform für Vermittlung ist für eine Galerie unerlässlich geworden. Außerdem wurde dadurch die Kommunikation über Kunst einfacher und die Hürde, Kunst zu kaufen, niedriger.

Egor Kraft. "Die Halbwahrheit ist die perfekte Lüge", 2022. Generative Computerinstallation. Mit freundlicher Genehmigung von Alexander Levy.

Was unterscheidet Ihrer Meinung nach die jüngere Generation an Sammler*innen von Ihrer älteren Generation?

TL: In der Vergangenheit waren Sammler*innen viel enger an eine Galerie gebunden, wurden von ihren Galerist*innen beim Aufbau ihrer Kunstsammlung beraten, begleitet und blieben ihnen treu. Heutzutage ist der Kunstkauf zu einem sozialen Phänomen geworden: Je nach Trend und Hype kaufen die Menschen mehr mit ihren Sinnen.

Ist das nicht der Traum eines jeden Vaters – ein Sohn, der in die eigenen Fußstapfen tritt und eines Tages das Unternehmen fortführt?

TL: JA!

Der neue Raum in Moabit ist ein Gemeinschaftsprojekt von Ihnen beiden. Wie ist es dazu gekommen? Hatten Sie schon immer vor, einen Ausstellungsraum zu eröffnen, der Ihre beiden Galerien miteinander verbindet?

TL: Natürlich haben wir schon immer einen gemeinsamen Standort für die Zukunft geplant. Seit Jahren sind wir auf der Suche nach geeigneten Räumen, um die Zukunft meiner Galerie – die seit über 50 Jahren besteht – endlich an die neue Generation weiterzugeben und die langjährige Zusammenarbeit mit den bedeutenden Künstler*innen beider Galerien sowie die Pflege der Nachlässe fortzusetzen – auch mit wirtschaftlichem Erfolg.

AL: Wir hatten die Verflechtung der beiden Galerien bereits in Ausstellungskooperationen eingeläutet, zum Beispiel als wir Dieter Roth aus dem Programm meines Vaters hier in unseren Räumen jungen Künstler*innen gegenüber stellten. Oder mit der Einzelausstellung von Daniel Spoerri oder Meret Oppenheim in unserer Galerie in Berlin, wo wir ihr Werk aus einem neuen Blickwinkel betrachten wollten. Die Künstler*innen meines Vaters sind in Berlin nahezu nicht vertreten gewesen.

TL: Und Berlin ist eines der Kunstzentren in Deutschland und einfach internationaler. In Hamburg gibt es schlichtweg zu wenig Leute, die das sehen können.

Was unterscheidet die Berliner Kunstszene von der in Hamburg?

AL + TL: Provokativ gesprochen: In Berlin gibt es eine [Kunstszene], in Hamburg nicht.

Installationsansicht von "Lies, Half-Truths & Propaganda [The Bad, the Worse, and the Worst], 2022", mit freundlicher Genehmigung von Alexander Levy.

DIE KUNST FILTERT UNSER ALLTÄGLICHES LEBEN UND UNSERE REALITÄT, DAHER IST ES NICHT SO LEICHT, IHRE GESELLSCHAFTSPOLITISCHE DIMENSION ZU UMGEHEN

Gab es jemals Rivalitäten oder Spannungen zwischen Ihnen beiden, wenn es um das Kuratieren von Kunst und Künstler*innen für Ihre jeweiligen Galerien ging?

TL: Mein Sohn und ich haben unterschiedliche Galerieprogramme, was bedeutet, dass jeder von uns selbstständig arbeitet und seinen eigenen Schwerpunkt hat – so sollte es auch bleiben.

AL: Ich konnte meine Ideen und die meiner Künstler*innen immer verwirklichen – auch wenn sie für meinen Vater nicht sofort ersichtlich waren. Aber er gab mir immer alle Möglichkeiten dazu.

Angesichts der inhaltlich sehr unterschiedlichen Galerieprogramme, wo treffen sich Vater und Sohn dennoch im künstlerischen Diskurs oder Ansatz?

TL: Die Künstler*innen, die ich vertrete – insbesondere Meret Oppenheim, Man Ray, Dieter Roth und Daniel Spoerri – werden von meinem Sohn gleichermaßen geliebt. Auch sie sind sogenannte „Ideenkünstler*innen” oder Konzeptkünstler*innen.

AL: Ja, bei Meret Oppenheim und Daniel Spoerri geht es weniger um das Handwerk, als um die künstlerische Bewegung, die Ideen und Ansichten, die sie verkörpern.

Beide Galerien sind dafür bekannt, dass sie Werke zeigen, die sich mit sozialen und politischen Themen auseinandersetzen. Welchen Platz haben Politik und soziale Themen über die Kunst hinaus in Ihren persönlichen Leben und wie überträgt sich das darauf, wie Sie Ihre Galerien führen?

TL: Kunst filtert unser alltägliches Leben und unsere Realität, daher ist es nicht so leicht, ihre gesellschaftspolitischen Dimensionen zu umgehen. Auch wenn die rein sinnlich-ästhetische Wahrnehmung zunächst etwas sehr Persönliches sein kann.

AL: Es gibt heute sicherlich Themen, die nicht mehr ignoriert werden können, wie z. B. die Gleichstellung der Geschlechter, das Empowerment von BIPOC und die Digitalisierung der Kunst.

Wie wir teilweise auf der Art Düsseldorf sehen konnten, gibt es viele wichtige Positionen in der zeitgenössischen Kunst, die aus Deutschland kommen. Wie inspiriert dieses Erbe und diese Kulturgeschichte Ihre Arbeit als Galeristen?

TL: Die meisten Künstler*innen, die ich vertrete, kommen nicht aus Deutschland – ich denke nicht, dass dieser Gesichtspunkt entscheidend ist. Dennoch gibt es natürlich nationale Diskurse, in denen auch Künstler*innen wiederentdeckt werden. Nehmen Sie zum Beispiel Werner Berges – ein Pionier der deutschen Pop Art, der in den 1960er und 70er Jahren seinen Erfolg hatte und dann aus dem Blickfeld verschwand. Heute steht er wieder im Mittelpunkt der Wiederentdeckung und Anerkennung des sogenannten „German Pop”.

AL: Der nationale Kontext ist für mich als Galerist nicht relevant, aber für den/die Künstler*in kann er zum künstlerischen Diskurs werden.

Daniel Spoerri. "Tableau piége", 1972. "Restaurant Spoerri", 1972. Mit freundlicher Genehmigung der Galerie LEVY.

Wie haben sich Ihre jeweiligen Galerien auf die Pandemie angepasst?

AL: Während der Corona-bedingten Schließung von Galerien haben wir uns auf die wesentlichen Strukturen unserer Galerie konzentriert: die (digitale) Vermittlung von Kunst an unsere Sammler*innen und die Pflege unserer Kontakte – und viele Sammler*innen hatten auch Zeit und kauften Kunst. So hatten wir Glück, diese Jahre gut zu überstehen.

Können Sie mir erzählen, welche Künstler*innen Sie für die Eröffnungsausstellung in Ihrem neuen gemeinsamen Raum ausgewählt haben? Gab es irgendwelche Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Künstler*innen?

TL: Ich habe mich für Meret Oppenheim, Man Ray und Daniel Spoerri entschieden, weil sie das Fundament meiner Galerie sind und ich eine langjährige Zusammenarbeit mit ihnen pflege. Durch sie bin ich zur Kunst gekommen, und sie haben viele Künstler*innen bis heute beeinflusst. Mit Oppenheim habe ich bereits von 1978 bis zu ihrem Tod zusammengearbeitet, mit Spoerri seit 2000. Und 1969 traf ich in Paris als 20-Jähriger auf den damals 79-jährigen Man Ray – eine Begegnung, die meine Entscheidung, im darauffolgenden Jahr eine Galerie zu eröffnen, maßgeblich beeinflusste.

AL: Wir haben uns für die Eröffnungsausstellung nicht für eine bestimmte künstlerische Position entschieden; wir hatten schon einige Zeit zuvor Egor Kraft ausgewählt. Aber aufgrund der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine hat der russisch-österreichische Künstler sein Konzept völlig neu entwickelt.

Ist es nicht sehr gewagt, in diesen Zeiten große neue Räumlichkeiten zu eröffnen, insbesondere mit Blick auf die Post-COVID-Situation und den Krieg?

TL: Wir haben fünf Jahre auf die neuen Räume gewartet. Und jetzt sind sie zu uns gekommen, und wir haben ja gesagt. Es geht einfach immer weiter.

Und können wir damit rechnen, dass irgendwann eine LEVY/Alexander Levy-Galerie an einem ganz anderen Standort eröffnet wird?

TL: Ich habe bereits eine Galerie in Paris und Madrid parallel betrieben. Es hängt hauptsächlich von den Partner*innen vor Ort ab. Meiner Erfahrung nach ist es nicht einfach, denn das erfolgreiche Führen einer Galerie ist im Wesentlichen ein persönliches Business.

AL: Ich halte das für eine wunderbare Idee; es würde mich reizen, irgendwo anders eine weitere Galerie zu haben.

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