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Joëlle Dubois’ Kunst: Eine Hommage an die eigenwillige, unverfälschte Schönheit des Körpers

UNABHÄNGIG, SELBSTBESTIMMT UND FREI VOM „MALE GAZE”

Unsere Körper sind seltsam. Sie werfen Falten, knautschen und biegen sich. Ihnen wachsen Haare an merkwürdigen Stellen und mit der Zeit nehmen sie alle Formen und Größen an. Sie sind die Objekte, in denen wir alle leben, und doch wird nur ein Bruchteil der Vielfalt der Körper, die es gibt, in der Popkultur gezeigt und gefeiert. Diese Tatsache versucht die belgische Künstlerin Joëlle Dubois zu korrigieren.

Die 1990 in Gent geborene Dubois wuchs in einer Kultur auf, die noch nicht von den beengenden Vorstellungen, was ein akzeptabler Körper ist, befreit war. „Die Frauen um mich herum schienen immer unglücklich mit ihrem Körperbau zu sein, sie versuchten immer einen Standard zu erreichen, der unerreichbar war. Als Frau habe ich dieses Verhalten ebenfalls übernommen”, erinnert sie sich. Durch ihre Kunst hat sie die Frage, was akzeptabel ist, neu definiert – und ihren eigenen Körper akzeptiert. Schon bei einem ersten flüchtigen Blick auf das Oeuvre der Künstlerin wird deutlich, dass Dubois eine leidenschaftliche Liebe für die Vielfalt der Menschen hegt. Ihre Bilder sind lustig, geheimnisvoll und vor allem online. Auf fast jedem Bild halten die Figuren ein Mobiltelefon in der Hand. Einige machen Selfies, andere liegen im Bett und scrollen unaufhörlich, entweder allein oder mit Partner*in, der oder die ebenfalls vom sanften Leuchten des Bildschirms fasziniert ist.

Nachdem sie 2015 mit ersten Ausstellungen in Brüssel und Gent ihr Debüt in der zeitgenössischen Kunstszene gab, haben die unvergesslichen Gemälde der Künstlerin weit über ihr Heimatland hinaus Anerkennung gefunden. Es ist leicht zu erkennen, warum. In einer Kunstszene, die immer noch stark von altmodischen Werken dominiert wird, die unter dem „Male Gaze” entstanden sind, verleiht die kompromisslose Rückbesinnung auf Nacktheit als etwas Verletzliches, nicht Sexuelles, jedem ihrer Werke eine dynamische Energie. Ihre Szenen von chaotischen Zimmern, Nackt-Selfies und Dim-Sum zum Abendessen, bei denen man am Bildschirm hängt, sind nachvollziehbar.

Als Künstlerin der Galerie Thomas Rehbein auf der Art Düsseldorf 2022, haben wir mit Dubois im Interview über die unvergleichliche künstlerische Anregung von Kunstmessen, die Suche nach Inspiration auf Instagram und vieles mehr gesprochen.

Joëlle Dubois. "Dawn", 2019. Acrylic on wood. 116 x 89 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Joëlle Dubois. "Dusk", 2020. Acrylic on wood. 116 x 89 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Sie sind in der Anfangszeit der sozialen Medien erwachsen geworden. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich im Umgang mit den sozialen Medien gemacht? Was sind für Sie die positiven Aspekte der sozialen Medien?

Die Menschen verbreiten ungeniert ihre Intimität in den digitalen Medien. Alles dreht sich um den Körperkult. Ich bin von diesem Verhalten fasziniert, und deshalb ist es ganz einfach: Soziale Medien sind eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Online finde ich oft eine Idee für ein Werk. Manchmal habe ich ein übergreifendes Thema im Kopf, aber noch nicht die richtige Komposition. Wenn ich also nicht weiterkomme, setze ich mich hin und durchstöbere Instagram, um zu versuchen, eine Anregung zu finden.

Online kann ich eine bestimmte Person, eine Szene oder auch nur eine Farbpalette sehen, und mir denken: „Okay, das ist die Inspiration. Das ist es, was ich verwenden und aufgreifen möchte.” Oft mache ich einen Screenshot und versuche dann, wenn das Stück entsteht, ein Ereignis aus meinem Leben mit diesem Bildmaterial zu verbinden. Dann beziehe ich mich auch auf verschiedene Meisterwerke der klassischen Kunst, von denen ich glaube, dass sie das Thema, das ich vermitteln möchte, enthalten.

Abgesehen von meiner Arbeit glaube ich, dass die sozialen Medien Menschen leichter zusammenbringen können. Ich kenne viele Leute, die sich über Tinder kennengelernt haben und nach ein paar Jahren immer noch glücklich zusammen sind – wie ich selbst. Ich denke, dieser Lebensstil spiegelt sich gewissermaßen in meiner Arbeit wider.

Welche Botschaft möchten Sie den Betrachter*innen Ihrer auf der Art Düsseldorf gezeigten Kunst mit auf den Weg geben?

Ich denke über die tägliche Absurdität des Lebens nach und versuche, „eigenartig” und „chaotische” menschliche Erfahrungen einzufangen. Die Kunstwerke, die ich geschaffen habe, sind also wohl Darstellungen des Lebens und der verschiedenen Emotionen, die es begleiten. Dabei lasse ich den Betrachter*innen viel Raum, um die von mir dargestellten Geschichten zu interpretieren und zu genießen.

Joëlle Dubois. "Bodyhair Don't Care", 2019. Acrylic, epoxy on wood. 23 x 17 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Die Menschen, die ich zeige, haben mehr zu bieten als ihren Sexappeal.

Joëlle Dubois. "Say Cheese", 2017. Acrylic, epoxy on wood. 20 x 15 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Was hat Sie zu den Werken inspiriert, die auf der Art Düsseldorf zu sehen sind?

Ich denke viel über Surrealismus nach und möchte neue Dinge ausprobieren, wie zum Beispiel unerwartete Dinge zu einer bestimmten Szenerie hinzufügen. Auch die von Fernando Botero dargestellten Figuren und seine Inszenierung der weiblichen Form faszinieren mich.

Die sozialen Medien sind untrennbar mit Nacktheit und insbesondere mit der Maßregelung von Körpern verbunden. In Ihren Arbeiten sind oft nackte oder halbnackte Menschen zu sehen. Welche Aussage oder Botschaft hoffen Sie, besonders bezüglich dieses Themas, den Betrachter*innen durch Ihre Arbeit zu vermitteln?

In der bildenden Kunst gibt es so viele erotische und nackte Darstellungen. Und ich glaube, das ist der Grund für diesen Einfluss. Aber auch als eine Art Kritik an dem, was als anständig oder unanständig gilt.  Ich versuche, den natürlichen Körper zu normalisieren und „Body Positivity” zu vermitteln. Daran hat es in unserer Kultur sicherlich jahrelang gemangelt. Ich erinnere mich daran, dass die Frauen um mich herum immer unglücklich mit ihrem Körperbau zu sein schienen und immer versuchten, einen Standard zu erreichen, der unerreichbar war.

Als Frau habe ich dieses Verhalten auch übernommen. In gewisser Weise ist es also ein Versuch, [meinen] eigenen Körper zu akzeptieren. Heute gibt es viele Plus-Size-Models und ich sehe viele Frauen, die ihre Kurven und Körperbehaarung akzeptieren. Ich finde, das ist wunderschön und sollte nicht zensiert werden. Die Menschen, die ich zeige, haben mehr zu bieten als ihren Sexappeal. So sind zum Beispiel die “Cone Boobs” (Kegelbrüste) entstanden. Ich mache meine Figuren eher rundlich und versuche, Menschen zu malen, die nicht unbedingt traditionell schön sind, weil ich dieses leere Schönheitsideal nicht aufrechterhalten will. Nacktheit ist also in erster Linie etwas Verletzliches und Menschliches und nicht etwas Sexuelles.

Wie sind Sie mit der Thomas Rehbein Galerie in Kontakt gekommen?

Wir lernten uns 2016 bei einer meiner ersten Kunstausstellungen in Brüssel kennen. Thomas hat meine Arbeit dort gesehen und mir dadurch weitere Möglichkeiten eröffnet. 2018 hatte ich dann meine erste Gruppenausstellung mit ihm in Köln. Das hat dann zu unserer weiteren Zusammenarbeit geführt, es hat zwischen uns sofort gepasst.

Joëlle Dubois. "Liking Tongues", 2018. Acrylic on wooden panel. 21 x 15 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Wie wichtig sind Kunstmessen für Sie als Künstlerin? Hat sich durch die Pandemie daran irgendetwas geändert?

Kunstmessen machen mir Spaß, weil ich mich auf diese Weise inspirieren lassen kann. Es ist eine Gelegenheit, mit Kunstliebhaber*innen und Galerien in Kontakt zu kommen oder neue Künstler*innen kennenzulernen. Nach dem Besuch einer Kunstmesse bin ich immer voller Energie und bereit, wieder mit der Arbeit zu beginnen. Ich glaube, die Pandemie hat Galerien und Kunstschaffende herausgefordert, neue kreative Wege zu finden, um Kunst auszustellen und zu verkaufen, aber ich glaube es gibt nichts Befriedigenderes, als ein Gemälde in natura und nicht auf einem Bildschirm zu betrachten. Ich denke, wir sind alle bereit und begeistert, dass es wieder solche Veranstaltungen gibt, und für mich hat das den Drang, meine Werke auszustellen, noch verstärkt.

Technologien wie VR und AR und das „Metaverse” scheinen das nächste große Ding in den sozialen Medien zu sein. Würden Sie diese Technologien gerne im Rahmen Ihrer Kunst ausprobieren, oder bevorzugen Sie eher physische Medien wie Malen und Zeichnen?

Ehrlich gesagt bin ich ziemlich schlecht in allem, was mit Technik zu tun hat, also ist es ziemlich offensichtlich, warum ich ein physisches Medium bevorzuge. Die Malerei kann zu gleichen Teilen therapeutisch, lustig, herausfordernd, immersiv und frustrierend sein – und sie verändert sich ständig, während man an einem Werk arbeitet. Weil wir in einem so digitalen Zeitalter leben, vergessen wir manchmal, wie wichtig die Natur eigentlich ist. Deshalb kontrastiere ich gerne Themen aus dem Bereich der neuen Medien mit dieser traditionellen Art des Schaffens.

Beim Malen entfliehe ich meinem Ego und komme in Kontakt mit der universellen Zeit, denn es gibt weder Zeit noch Raum. Ich bin ganz im Jetzt und es gibt nichts Besseres, als in diesem Fluss zu sein. Es ist ein Versuch, die richtige Frequenz zu erreichen, die Frequenz der Natur um mich herum. Deshalb weiß ich nie, wie ich etwas tun soll. Jedes Mal, wenn ich zum Beispiel ein Telefon male, fühlt es sich an, als wäre es eine neue Erfahrung. Ich frage mich: „Was? Wie habe ich das letztes Mal gemacht?” Das ist schon irgendwie absurd. Aber ich fordere mich auch gerne selbst heraus, deshalb beschäftige ich mich seit kurzem mit Installationskunst und werde in Zukunft vielleicht auch andere Medien wie etwa Videos einbeziehen.

In vielen Äußerungen über Ihre Arbeit wurden Sie als „voyeuristisch” bezeichnet. Dieses Wort wurde im Laufe der Geschichte zur Beschreibung vieler Kunstschaffender verwendet, unter anderem von Andy Warhol. Wie denken Sie über dieses Wort und sehen Sie sich selbst als „Voyeur” oder als etwas weitaus Komplexeres?

Das erste, was man an der Kunstschule lernt, ist zu schauen, zu betrachten, zu starren, zum Beispiel beim Aktzeichnen. Als bildende/r Künstler*in ist man ein/e ständige/r Beobachter*in der Dinge, die man sich für seine kreative Tätigkeit aneignet. Der Blick der Kunstschaffenden ist also von grundlegender Bedeutung bei der Suche nach einem Thema, und für mich bietet Technologie eine neue Möglichkeit zu sehen und gesehen zu werden. Also ja, ich denke, ich sehe mich selbst als eine Art „Voyeur”. Aber der kreative Prozess ist nicht unbedingt eine „voyeuristische” Erfahrung, wenn man „Voyeurismus” als sexuelles Vergnügen beim Beobachten anderer definiert.

Joëlle Dubois. "She Makes It Work", 2021,. Acrylic, epoxy on wood. 30 x 25 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Joëlle Dubois. "Dim Sum in Hong Kong", 2019. Acrylic, epoxy on wood. 30 x 20 cm. Courtesy Thomas Rehbein Galerie.

Wie hat sich Ihre künstlerische Praxis an die Pandemie angepasst?

Es war schwer, inspiriert und konzentriert zu bleiben, wenn die Gesellschaft im Chaos versinkt. Ich wechselte ständig zwischen niedergeschlagen und müde sein und der Erinnerung an die Bedeutung des Schaffens und die Freude, die es mir bringt. Ich denke, ein Großteil meiner Arbeit ist erfahrungsbasiert und viele Elemente stammen aus Lebenserfahrungen. So gibt es in meinen jüngsten Arbeiten eine gewisse Dunkelheit, Stille und Traurigkeit, die von dieser Pandemie-Erfahrung stammen. Es gibt auch den Wunsch, eine Geschichte zu erzählen oder sich Menschen verbunden zu fühlen und Geschichten zu erzählen, die meiner Meinung nach jeder durchlebt.

Ihre Figuren befinden sich oft in einer schwierigen Lage und haben unterschiedliche Körpertypen und Größen. Wie haben sich die Themen Ihrer Arbeit im Laufe der Zeit verändert? Vor allem in Bezug auf Diversität?

Ich bin mir nicht sicher, ob ich bewusst darüber nachdenke, wie sich meine Einflüsse oder Themen mit der Zeit verändern. Oder wie ich all diese Quellen zu etwas vereinen kann, das mir gehört. Ich male einfach was mir gefällt, wie ich es malen möchte. Natürlich haben die frühen Arbeiten immer noch etwas mit meinen heutigen Arbeiten zu tun, aber sie sind in gewisser Hinsicht viel simpler geworden. Was die Diversität betrifft, so sind die [frühen] Figuren auf eine sehr ausgeprägte und sexuelle Art und Weise festgehalten. Sie sind aktive Teilnehmer*innen in ihrer eigenen Welt mit ihren eigenen komplexen Geschichten.

Die Figuren sind jetzt markanter und kurviger, immer noch sexuell, aber sie sind nicht zum visuellen Vergnügen anderer da. Sie sind dem “Male Gaze” entzogen. Man kann sie anstarren und sie werden es nie wahrnehmen. Wenn sie sexuell sind, ist ihre Sexualität völlig losgelöst von den Bedürfnissen der Betrachtenden, und so wird dem/der Betrachter*in die Macht entzogen und sammelt sich im Bild selbst. Diese Macht wird denjenigen gewährt, die sich mit dem Bild identifizieren: Frauen aller Körpertypen, Ethnien und Identitäten. Der „Male Gaze” wird somit umgewandelt. Diese Motive können also als ermächtigend angesehen werden.

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