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Swantje Lichtenstein über die künstlerische Arbeit der Sprache

Im Rahmen unserer neuen Reihe Stadtgespräche sprechen wir mit Menschen aus der Kunst und Kultur, die einen persönlichen Bezug zu Düsseldorf haben, über ihre Verbindung zur Stadt und werfen gemeinsam einen Blick auf inspirierende, liebgewonnene und gern besuchte Orte in Düsseldorf.

Swantje Lichtenstein lässt sich nicht auf eine einzige Praxis festlegen. Nachdem sie ihre Kindheit in Tübingen verbachte, hat sie als Dichterin, Klangkünstlerin, Performerin und Coach an weit entfernten internationalen Orten praktiziert. Als Wissenschaftlerin absolvierte sie ihr Studium in Germanistik, Philosophie und Soziologie und promovierte in Köln über neuere deutsche Lyrik. Als Dozentin und Professorin unterrichtete sie an verschiedenen Hochschulen weltweit, unter anderem an der Universität für angewandte Kunst Wien, an der Kunsthochschule für Medien Köln und an der Universidad del Norte in Barranquilla, Kolumbien.

Seit 2007 ist sie Professorin für Text & Ästhetische Praxis an der Fachhochschule Düsseldorf. Zu dieser Zeit ließ sie sich in der Stadt nieder. Neben ihrer herausragenden akademischen Karriere hat sie sich in der Kunstszene durch ein breites Spektrum an Arbeiten etabliert, darunter Lyrik, Essays, Theorien, Übersetzungen und Klangarbeiten. Ihr besonderes Interesse gilt transtextuellen und performativen Erweiterungen von Sprache, Klang und Theorie sowie der künstlerischen Erkundung elektroakustischer und konzeptueller Aufnahmemodi aus transmedialer und feministischer Perspektive. Neben der Präsentation ihrer Arbeit auf internationalen Festivals, darunter das Sound Eye Festival in Cork und das International Poetry Festival in Bukarest und Istanbul, ist sie auch Mitbegründerin des cOsmOsmOse Festivals für Performance-Poesie und Verbophonie.

Für Düsseldorf Talks sprachen wir mit Lichtenstein über Parallelen zwischen der bildenden Kunst und der Literaturszene, ihre liebsten Ramen-Spots und mehr. Lesen Sie hier und sehen Sie alle unsere Gespräche im digitalen Magazin.

Haus für Musiker: © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Tomas Riehle © Raimund Abraham

Sie sind Künstlerin, Autorin und Professorin für Text und Ästhetische Praxis an der Hochschule Düsseldorf und leben hier in der Stadt. Was macht Düsseldorf für Sie aus?

Düsseldorf ist durch seine asiatische und internationale Community, die geographische Lage nah an Belgien und Holland sowie zwischen Ruhrpott und Köln eine Mittlerin, die Menschen und Welten zusammenbringt. Eine Stadt der Mode, Musik und Kunst, mit ziemlich diverser Geschichte, einem Zoo ohne Tiere, einem geschlängelten Rhein, einer Architektur, die nicht wirklich zusammenpasst, aber doch an vielen Stellen Freude machen kann, Seen und Wäldern und definitiv interessanter als ihr Ruf.

Was ist Düsseldorf für eine Stadt, wenn man Sie durch die Brille der Literatur betrachtet?

Das weiß ich nicht so genau zu beantworten, die „Brille der Literatur“, vielleicht weil ich sie nicht auf- oder abzusetzen weiß. Ich bin stark kurzsichtig, und wünsche der Literatur insgesamt in Deutschland mehr Offenheit sowie die Akzeptanz des Schreibens als künstlerische Praxis, die sich ein wenig hinauswagt aus der Bildungs-, Unterhaltungs- und Wissensecke. Seit Heinrich Heines Zeiten gab und gibt es allerdings viele Schreibende und viele Institutionen, die sich der Literatur widmen, Buchhandlungen, Verlage und künstlerische Projekte.

In der jüngeren Geschichte kann man in Düsseldorf vor allem Verbindungen und Synergien zwischen der bildenden Kunst und der Musikszene beobachten. Bei den Aktionskünstler*innen der 1960er zum Beispiel, aber auch in der Hochphase des Punks in den 70er und 80er Jahren. Gab oder gibt es solche Verbindungen auch zur Literaturszene?

Wie schon gesagt, ich gehöre eher zu denen, die Schreiben als künstlerische Praxis verstehen und das hat eine lange Tradition in der Kunst, der Musik und der Literatur. Ganz besonders in den Zeiten, die insgesamt eine Veränderung der Gesellschaft, der Institutionen, der Kunst als soziale oder erweiterte Kunstpraxis verstanden. An den legendären Orten wie Daniel Spoerris Restaurant am Burgplatz, dem Club „Creamcheese“ oder dem „Ratinger Hof“, trafen Künstler*innen aufeinander, die mit allen möglichen Materialien arbeiteten, so auch der Sprache, dem Klang, der Literatur. Der leider viel zu früh verstorbene Dichter Thomas Kling ist ein gutes Beispiel hierfür, der regelmäßig mit verschiedenen Musiker:innen im Ratinger Hof auftrat und gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Ute Langanky, auf der Raketenstation Hombroich arbeitete und lebte. Diese Geschichtsschreibung fokussiert sich leider immer noch auf eine sehr männliche und europäische Perspektive auf die Kunst und die Literatur, aber die Trennungen zwischen den Künsten bestanden in dieser Zeit definitiv weniger stark als heute.

Art Collection North Rhine-Westphalia (K21). Photo: Sebastian Drüen.

Welche Rolle spielt zeitgenössische bildende Kunst für Ihre Arbeit?

Ich verstehe meine Arbeit als künstlerische Praxis, nicht nur meine Sound Art-, Performance oder Video-Arbeiten, sondern auch bei „ Sprachkunst“, das „Machen“ (=Poiesis) mit dem Material Sprache. Diesem Thema widme ich mich schon sehr lange und ich betrachte die Arbeit mit Sprache als transmediale, künstlerische Arbeit, die auch im Raum, im Körper, als Schriftbild und Konzept existiert.

Was sind Ihre Lieblingsorte für Literatur, Kunst oder Musik in Düsseldorf?

K20/K21, die Kunsthalle mit dem Kunstverein, die Julia-Stoschek-Sammlung, die Museumsinsel/Raketenstation Hombroich, das fft-Theater, die Stadtbibliothek, das Filmhaus und die Tonhalle, aber auch kleine Veranstaltungsräume, Off-Spaces und Galerien. Ich kann mir keine Namen merken, aber es gibt gute Websites, die das sammeln [wie The Dorf].

Ich versuche, mehr Pausen zu machen, höre experimentelle und neue Musik und esse viel Ramen.

Nach dem Museumsbesuch oder einem Konzert, wo gehen Sie am liebsten Kaffee trinken, etwas essen oder tanzen?

Am besten noch einen Ramen (japanische Nudelsuppe) auf der Immermannstraße, ansonsten geh ich eher um die Ecke…

Welchen Ort in Düsseldorf legen Sie Besucher*innen der Stadt und unseren Leser*innen besonders ans Herz? Was kann man dort entdecken? Was macht diesen Ort aus?

Botanischer Garten mit seiner tollen Kuppel, die Orgel in der Neanderkirche in der Altstadt, Aaper Wald, Unterbacher See, ich bin gerne draußen.

Wie sehen Ihre weiteren Pläne und Projekte in diesem Jahr aus?

Ich arbeite an der Produktion von Audioarbeiten auf Tape (Cassette) und Vinyl (Platte), von Sound-Installationen und Performances, die sich mit dem Thema Verletzlichkeit, Verbindung und Heilung und AI (Artificial Intelligence) beschäftigen, Übersetzungen eines Handbuchs der englischen Philosophin Sara Ahmed über feministische Spaßbremsen, einem künstlerischen Forschungsprojekt zum Thema Community Arts, der sich mit der Infragestellung des klassischen, weißen Geniegedankens in der Kunst beschäftigt und für einen integrativeren, kollektiveren Ansatz in der Produktion der Künste stark macht, immer auch an Gedichten, Essays und Workshops und Seminaren. Ich versuche, mehr Pausen zu machen, höre experimentelle und neue Musik und esse viel Ramen.

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