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Die Bedeutung der Kunst im Kampf gegen die Klimamüdigkeit

Für die erste Ausgabe unserer neuen Essay-Reihe im Art Düsseldorf Magazin haben wir eine Auswahl von Autoren*innen gebeten, sich mit Fragen zum Thema Nachhaltigkeit in der Kunstwelt auseinanderzusetzen. Dieser Essay von Glesni Williams, einer in Bologna lebenden Journalistin, konzentriert sich auf die vielfältige Geschichte des Umweltaktivismus in der Kunst als ein Ansatz im Kampf gegen die Klimamüdigkeit.

In einer Zeit, in der die Auswirkungen der Klimakrise in den Medien allgegenwärtig sind, spielen Künstler*innen und Kunstinstitutionen eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die sogenannte Klimamüdigkeit. Künstler*innen interessieren sich seit langem für die Vielseitigkeit und Kraft der Natur, ihre sich ständig verändernden Formen und ihre Ausbeutung; während die Menschen weiter bauen und Ressourcen nutzen, geben sie immer weniger zurück. Was einst eine Kunst der Beobachtung war – die Einforderung der Naturrechte und die Einbeziehung natürlicher Elemente in das Kunstwerk selbst – hat sich zu düsteren Warnungen entwickelt. Aufrufe zum Handeln und die Forderung nach Nachhaltigkeit sind heute in der Kunst weit verbreitet. Kunst kann informieren und zum Handeln anregen, ohne den in Nachrichten oder sozialen Medien weit verbreiteten Pessimismus. Da immer mehr Menschen gegenüber dem Thema desensibilisiert werden, muss die Kunstwelt mehr von ihren eigenen Institutionen verlangen und mit Gewohnheiten brechen, die zu einem geologischen Zeitalter beitragen, welches durch nicht nachhaltigen Konsum gekennzeichnet ist.

Der Ökophilosoph Timothy Morton, Autor von „All Art is Ecological” (2021), hat den Begriff „Hyperobjekte” geprägt, um Beispiele für die allgegenwärtige Verwendung von Öl und Plastik im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu beschreiben. Wie Morton in ihre Buch von 2013, „Hyperobjects: Philosophy and Ecology After the End of the World” beschreibt, ist ein Hyperobjekt so überwältigend groß, dass es unmöglich wird, seine Grenzen zu erfassen. Eine unaufhörliche Flut von Daten und Bildern von Naturkatastrophen, verwandelt in Clickbait, trägt zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit angesichts der schieren Ausmaße der Krise bei. Das Ergebnis ist ein idealer Nährboden für die „Klimamüdigkeit” oder einen Zustand, der von Angst geprägt ist und häufig zu einer Desensibilisierung gegenüber der Informationsflut führt.

Kunst kann informieren und zum Handeln anregen, ohne den in Nachrichten oder sozialen Medien weit verbreiteten Pessimismus.

Um praktische Lösungen für die Zukunft zu finden, muss man nur auf die reiche Tradition des Umweltaktivismus in der jüngeren Kunstgeschichte zurückblicken. Zwischen 1978 und 1980 setzte die kanadische Künstlerin Betty Beaumont das Projekt Ocean Landmark” in Gang. Für diese ambitionierte Unterwasserinstallation wurden aufbereitete Kohleabfälle aus einem Wasserkraftwerk in 17.000 Blöcke verwandelt, die auf den Grund des Atlantiks geworfen wurden. Jahrzehnte später zahlte sich die Arbeit der Künstlerin aus, denn die Natur hatte das Ruder übernommen. Die Skulptur aus dem recycelten Abfall hat sich mit der Zeit zu einem üppigen Riff entwickelt und trägt zum Ökosystem des Ozeans bei.

Vom Meeresboden bis zum Himmel hinauf: Der Künstler Tomás Saraceno stellt die Kraft der Sonne und der Windströmungen in den Mittelpunkt der Aerocene Foundation. Die 2015 gegründete interdisziplinäre Künstler*innengemeinschaft will „neue Formen ökologischer Sensibilität erarbeiten und ein gemeinsames Vorstellungsvermögen für eine ethische Zusammenarbeit mit der Atmosphäre und der Umwelt reaktivieren, um eine Zukunft frei von Grenzen und fossilen Brennstoffen zu schaffen.” Die wissenschaftlich untermauerten Aerosolar-Installationen, die von den Forschungen des Verfechters und Erfinders der Solarenergie Dominic Michaelis aus den 1970er Jahren inspiriert sind, stützen sich auf die Idee, dass die Kraft der Sonne ausreicht, um aerosolares Reisen zu ermöglichen. Seit der Kreation der ersten Aerocene-Skulptur im Jahr 2006 wurden seine Werke in den letzten Jahren in verschiedenen Institutionen ausgestellt, darunter im Grand Palais während der COP21 im Jahr 2015, im Palais de Tokyo im Jahr 2018, im Palazzo Strozzi in Florenz im Jahr 2020, auf der Architekturbiennale in Venedig im Jahr 2021, sowie in der Dauerinstallation „In Orbit” (2013) im K21 in Düsseldorf.

Ein weiterer Künstler, der diese Themen aufgreift, ist Nikola Uzunovski, dessen Werk die Frage aufwirft, ob die Menschen in der Lage sind, die natürlichen Ressourcen zu respektieren – und was die Zukunft bringen wird, wenn sie es nicht tun. Für My Sunshine”, ein Werk aus dem Jahr 2008, das als Teil des mazedonischen Pavillons auf der 53. Biennale in Venedig 2009 gezeigt wurde, schuf der Künstler mehrere künstliche Sonnen. Nach mehrjähriger Prototypenphase wurden Uzunovskis Sonnen aus einem transparenten Luftschiff mit einer rotierenden, reflektierenden Innenscheibe hergestellt, die die Sonnenstrahlen einfing. Uzunovskis und Saracenos fortlaufende kreative Forschung zeigt, dass es möglich ist, von nicht erneuerbaren Energieressourcen wegzukommen, indem Lichtquellen und Flugreisen ohne die Verbrennung von Kraftstoffen geschaffen werden.

Delcy Morelos. "Irdisches Paradies", 2022. Ortsspezifische Installation. Gemischte Medien: Erde, Ton, Zimt, Nelkenpulver, Kakaopulver, Maniokstärke, Tabak, Kopaiba, Backpulver und pulverisierte Holzkohle. Maße variabel. Mit der zusätzlichen Unterstützung von Ammodo. 59. Internationale Kunstausstellung - La Biennale di Venezia. Foto von Roberto Marossi.

Auch natürliche Elemente wie Erde und Wasser wurden in die Praxis von Künstler*innen integriert, um die Ausbeutung der Erde zu hinterfragen. Für Delcy Morelos’ Earthly Paradise (2022) auf der 59. Biennale von Venedig 2022 verarbeitete die Künstlerin Erde zu dicken, ein Meter hohen Wänden für eine immersive Installation. Mit dem Aroma von Heu, Kakaopulver und anderen Gewürzen, die aus der Erde strömten, wurde das Werk zu einer multisensorischen Erfahrung. Die Besucher wurden durch diese Wände an ihre Verbindung zur natürlichen Umwelt erinnert, die nicht als selbstverständlich angesehen werden sollte. Morelos’ Arbeit erinnert an The New York Earth Room (1977) von Walter De Maria, eine Langzeitinstallation bestehend aus Erde, die seit 1980 in einem Galerieraum in Soho der Öffentlichkeit präsentiert wird. De Maria, der in den späten 70er Jahren eine Schnittstelle der avantgardistischen Kunstpraxis darstellte, strebte danach, die Beziehung zwischen Betrachter*innen und der Natur zu stärken.

Die Verwendung einzelner natürlicher Elemente in Installationen kann auch ein Mittel sein, um sich existenzielleren Themen zu nähern. In der Arbeit Ice Watch” von Olafur Eliasson und dem Geologen Minik Rosing aus dem Jahr 2014 wurden zwölf große Eisblöcke in Form einer Uhr an drei öffentlichen Orten installiert. Mit der Zeit schmolz das Eis und verschwand vollständig. Das Stück erinnerte sowohl an Allan Kaprows „Fluids” (1967) als auch an Francis Alÿs’ Sometimes Making Something Leads to Nothing” (1997) – jedoch mit einem bemerkenswerten Unterschied. Der Diskurs über Eis in diesen frühen Arbeiten war mit seiner Vergänglichkeit verbunden und hatte weniger mit der Dringlichkeit der modernen Klimakrise zu tun als es in Eliassons Werk der Fall ist. Sein Engagement im Kampf gegen den Klimawandel beschränkt sich nicht nur auf seine Kunst. Seit ein Flugverbot in neue Verträge integriert wurde, nutzt Eliassons Studio nun Züge oder Schiffsfrachten für den Transport seiner Werke, mit dem Ziel, im nächsten Jahrzehnt kohlenstoffneutral zu werden. Eliasson zeigt, dass nicht nur das Werk, sondern auch der/die Urheber*in einen praktischen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten kann.

Neben den einzelnen Künstler*innen spielen auch Institutionen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung der Klimamüdigkeit. Einer der drei Standorte für Ice Watch” war die Tate Modern am Londoner Southbank. 2019 riefen die Direktor*innen der Tate zeitgleich mit der Eröffnung von Eliassons Ausstellung In Real Life”, zu der auch The glacier melt series 1999/2019” gehörte, den Klimanotstand aus. Das Museum verpflichtete sich, durch Aktionen in allen vier Galerien ein Spotlight auf dieses kritische Thema zu werfen”. Teil dieser Verpflichtung zu einem Wandel war die neue Umweltpolitik, in der versprochen wurde, die Kohlenstoffemissionen bis 2023 um 50% gegenüber dem Basisjahr 2007 zu senken und bis zum Jahr 2030 auf Netto-Null-Emissionen hinzuarbeiten.

Von groß angelegten Installationen aus natürlichen Elementen über ambitionierte Langzeitprojekte, die sich im Laufe der Zeit weiterentwickeln, bis hin zu forschungsorientierten utopischen Skulpturen – im Laufe der Kunstgeschichte und in der Gegenwart beschäftigen sich Künstler*innen immer wieder mit dem Klimawandel und der Frage, wie wir zu einer umweltfreundlicheren Gesellschaft übergehen können. Die Kunstwelt hat die Möglichkeit, neue Kommunikations- und Bildungsangebote zu den Themen Nachhaltigkeit, Nutzung erneuerbarer Energien und Schutz der natürlichen Ressourcen zu liefern. Die Konfrontation mit dem Hyperobjekt” Klimakrise durch die Arbeit von Künstler*innen und deren Ausstellungsraum kann zu Gesprächen anregen und den Kampf gegen die Klimakrise greifbarer machen. Indem sie Künstler*innen eine Plattform bietet, um das Bewusstsein zu schärfen, ein Gespräch anzustoßen und die Öffentlichkeit in einen aktiven sozialen Wandel einzubeziehen, kann die Kunst zu einem wichtigen Instrument werden, um die Klimamüdigkeit zu durchbrechen.

Glesni Williams ist eine Kunstjournalistin und Übersetzerin aus Nordwales, die in Bologna, Italien, lebt. Ihr Fokus liegt auf der Entwicklung der zeitgenössischen Kunstpraxis, den Kunstschaffenden und den vernetzten Ausstellungsräumen. Sie schreibt für das Lampoon Magazine, Sound of Life und das smART Magazine und ist Kunstredakteurin bei BBC Radio Cymru.

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