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LENA VON GOEDEKE MACHT KUNST AN DEN EXTREMSTEN ORTEN DER ERDE

IN JEDER RITZE UND JEDEM SPALT DIESER WELT STECKT SCHÖNHEIT.

Die in Duisburg geborene Künstlerin Lena von Goedeke wurde schon immer vom Drang geleitet, die Extreme der Erde zu erforschen. Auch wenn es die entlegensten Winkel der Pole und des Polarkreises waren, die sie in ihren Bann zogen und zu einer Reihe neuerer Arbeiten inspirierten, so ist doch ihr gesamtes Schaffen von der Konzentration auf die Form durchdrungen. Ihre Arbeiten sind taktil und erdverbunden, was zu den Themen passt, die sie in den Blick nimmt. Elemente wie Sand, Glas und Beton vermischen sich mit präzise geschnittenen Papierstücken, oder riesige, raumgroße Luftblasen sitzen neben sich schlängelnden Kabeln und Rohren. Seit über einem Jahrzehnt verbindet Goedeke ihre Liebe zur Wissenschaft und zur Kunst in einer Reihe von Werken, die ihr zahlreiche Preise und Stipendien eingebracht haben. Mit Ausstellungen in Berlin, Paris, Düsseldorf und vielen anderen Städten hat sie ihren Status als eine der interessantesten jungen zeitgenössischen Künstlerinnen in der Region bestätigt. Vor der Ausstellung einiger ihrer Arbeiten auf der Art Düsseldorf sprachen wir mit Goedeke über ihre Arbeit, die Bedeutung von Kunstmessen und wie es zur Zusammenarbeit mit der Galerie M kam.

Lena von Goedeke. "Equipment First", Kallmann Museum Ismaning 2021. ©Lena von Goedeke, Courtesy Galerie m, Bochum.

Was hat Sie zu den Arbeiten inspiriert, die auf der Art Düsseldorf zu sehen sind?

Auf meiner ersten Forschungsreise in den Norden hatte ich die Gelegenheit, in der Wissenschaftsstation in Ny-Alesund etwas über die Technologien zu erfahren, mit denen die Oberfläche unseres Planeten und die Zusammensetzung der dünnen Schicht, in der wir leben, gemessen werden. All das, was wir über den Raum wissen, der auf der Außenseite unserer Haut beginnt, nun digital verarbeitet und gefiltert, hat mich fasziniert. Die Topologie der Orte, die wir selbst nicht betreten können, als Drahtmodell darzustellen, eröffnete mir die Möglichkeit, meine Unternehmungen im Scherenschnitt auf eine neue Ebene zu bringen.

Welche Botschaft möchten Sie dem Betrachter mit auf den Weg geben?

Die Arbeit „LOT VI“ entstand nach meiner ersten Forschungsreise nördlich des Polarkreises. Inzwischen habe ich die Arktis auf mehreren Expeditionen kennengelernt und komme immer wieder auf die Fragen zurück, die mich zu „LOT VI“ inspiriert haben: Was wissen wir über die Beschaffenheit des großen Felsens, auf dem wir leben, an Orten, die wir nur mit Hilfe digitaler Werkzeuge aus jeder Perspektive sehen können? Wie viel Wahrheit steckt in der Darstellung von Landschaften, wenn die Quelldaten ausschließlich aus Pixeln, Voxeln oder Polygonen bestehen? Das gilt insbesondere für die extremen Orte auf unserem Planeten. Die [Nord- und Süd-]Pole sind uns nur durch einige persönliche Erfahrungen und Erinnerungen anderer bekannt, oder eben durch die Flut der digitalen Fotografie und Vermessung. Wir sind so sehr an die Darstellung unseres erweiterten Lebensraums durch Wireframes gewöhnt, dass wir dazu neigen, die Tiefe und Perspektive der gezeigten Topografie eher wahrzunehmen als die Wahrheit von Tausenden von Dreiecken, die von Hand ausgeschnitten wurden. Ich möchte, dass der Betrachter meiner Arbeit daran erinnert wird, dass wir unseren Augen vertrauen müssen, wenn wir die analoge Erfahrung unseres Lebensraums nicht verlieren wollen.

Lena von Goedeke. "The Oneironaut", Galerie m, Bochum 2021. ©Lena von Goedeke, Courtesy Galerie m, Bochum.

ICH SEHE KUNST ALS EIN UNVERZICHTBARES MITTEL, UM DIE GESELLSCHAFTZ DIE WIR AUFGEBAUT HABEN UND DEN PLANETEN, DEN WIR ZERSTÖRT HABEN, ZU VERSTEHEN

Lena von Goedeke. "Berth & The Perimeter", Dortmunder U 2019. ©Lena von Goedeke, Courtesy Galerie m, Bochum.

Wie hat sich Ihre künstlerische Praxis in Bezug auf die Pandemie verändert?

Abgesehen von einigen Werken, die ich zu diesem Thema gemacht habe, hat die Pandemie meine Arbeit nicht wesentlich beeinflusst. Meine Überlegungen zur körperlichen Erfahrung von Extremen, zu den Grenzen unserer Kontaktmöglichkeiten und zur Erfahrung von Isolation waren auch vor der Pandemie wichtige Themen in meiner Arbeit. Es ist ein Luxus, meine Zeit ausgiebig mit meiner Arbeit zu füllen und eine gesellschaftliche Notwendigkeit, Kunst und Kultur zu unterstützen. Mehr noch als früher sehe ich die Kunst als ein unverzichtbares Mittel, um die Gesellschaft, die wir aufgebaut haben, und den Planeten, den wir zerstört haben, zu verstehen.

Wie wichtig sind Kunstmessen für Sie als Künstlerin? Hat sich daran durch die Pandemie etwas geändert?

Die sehr erfolgreiche Art Düsseldorf 2019 hat es mir ermöglicht, die ersten Tiefpunkte der Pandemie und weit darüber hinaus zu überstehen. Wenn es mehr Messen gegeben hätte, wäre vieles möglich gewesen. Auch wenn sich in den letzten zwei Jahren viele spannende neue Möglichkeiten und Varianten [des Formats Kunstmesse] entwickelt haben, die ohne die Pandemie vielleicht zu lange in der Schublade gelegen hätten, ist klar, dass Kunst vor allem für möglichst viele [Menschen] möglichst zugänglich sein muss. Niemand hat eine dauerhafte Erfahrung in Online-Betrachtungsräumen. Man kann nicht zwischen den Bildschirmen flanieren [wie auf Kunstmessen]; das Scrollen macht nicht satt.

Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit mit der Galerie M?

Seit dem Beginn unserer Zusammenarbeit vor vier Jahren hat sich für mich eine äußerst spannende und flexible Arbeitsbeziehung entwickelt. Meine Arbeit besteht aus vielen Prozessen, vielen verschiedenen Techniken, und ich kann mich darauf verlassen, in der Galerie ein offenes, begeistertes und unterstützendes Publikum zu finden. Die Galerie M fungiert als eine Art Basislager in Bochum, wenn ich unterwegs bin, und kann es verkraften, von einer Idee zur nächsten zu denken, während ich mich am anderen Ende der Welt mit der Arbeit wissenschaftlicher Fächer beschäftige.

Lena von Goedeke. "Dunér", 2021. Archival Pigment Print on Baryta. 126 x 86,5 cm (130 x 90 cm framed). ©Lena von Goedeke, Courtesy Galerie m, Bochum.

Ihre Arbeiten sind sehr taktil, oft verwenden Sie Materialien wie Stein, Sand und Papier. Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Arbeiten und wie wählen Sie die Materialien aus, mit denen Sie arbeiten?

Die Grundlage für meine Arbeit bilden die Erfahrungen und Beobachtungen, die ich an extremen Orten auf diesem Planeten mache. Die komplexe Beziehung unserer physischen und sozialen Existenz zu Lebenswelten, zu denen wir nur Zugang finden, indem wir sie zerstören, sowie meine Faszination für wissenschaftliche Technologien und Phänomene, die über unsere physischen Grenzen hinausgehen, bilden den Rahmen für meine Forschung. Dabei hinterfrage ich Materialien auf ihre Eignung, meine Idee möglichst umfassend in sich selbst aufzulösen. In dieser Hinsicht bin ich für jedes Material offen, solange seine Eigenschaften es mir ermöglichen, die Phänomene, mit denen ich mich beschäftige, so präzise wie möglich zu vermitteln.

Viele Ihrer Werke sind ortsspezifische, großformatige Installationen, die den Betrachter dazu zwingen, seinen Platz in der Kunst zu überdenken. Welche Bedeutung hat der Betrachter für Sie und Ihre Arbeit?

Ich fungiere als Vermittler zwischen den Zuständen der Gebiete, die ich bereise, und dem Betrachter. Meine Erfahrungen und Erinnerungen sind der Filter, durch den wissenschaftliche Erkenntnisse oder Beobachtungen zum Werk werden. Auf der anderen Seite muss es die Betrachter geben, die dann ihre eigenen Erfahrungen machen und einen Eindruck davon bekommen, wie diese Aspekte wahrgenommen werden können. Es muss jemanden geben, dem die Werke etwas über ihre Herkunft erzählen können, jemanden, der bereit ist zu lernen.

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