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Prof. Dr. Susanne Gaensheimer über die Ausstellung Dialoge im Wandel im K21

Die Kunstsammlung NRW setzt sich mit Postkolonialismus durch Fotografie auseinander.

Prof. Dr. Susanne Gaensheimer hat keine Angst davor, sich den schwierigsten Fragen der Kunst zu stellen. Ganz im Gegenteil: Genau das inspiriert ihre Arbeit als Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Seit fast fünf Jahren leitet sie das Museum und hat in dieser Zeit an vorderster Front für eine Diversifizierung des Angebots gesorgt und erfolgreich internationale Positionen der Gegenwartskunst in das stilvoll geschwungene Gebäude in der Altstadt gebracht.

Die Neuausrichtung unter ihrer Leitung ist angesichts des Werdegangs und der Auszeichnungen von Gaensheimer kaum verwunderlich. Nach dem Studium der Kunstgeschichte in München und Hamburg absolvierte sie ein unabhängiges Studienprogramm am New Yorker Whitney Museum of American Art und promovierte. Nach einer Zeit als freie Kuratorin folgten eine Reihe von Stationen an Museen in ganz Deutschland, darunter der Westfälische Kunstverein in Münster und die Städtische Galerie im Lenbachhaus in München. Auf der Biennale von Venedig 2011 wurde sie für die Kuration des Deutschen Pavillons mit dem Goldenen Löwen für die beste nationale Beteiligung ausgezeichnet. Bevor sie ihre jetzige Position in Düsseldorf antrat, leitete sie acht Jahre lang das MMK Museum für Moderne Kunst in Frankfurt.

Mit zwei verschiedenen Ausstellungsgebäuden in der Kunstsammlung K20 und K21 hat Gaensheimer nun viel Raum, um den Geschmack des Museums und seiner Besucher zu erweitern. Nirgendwo wird das deutlicher als in der neuen, mutigen Ausstellung Dialoge im Wandel: Fotografien aus der Sammlung Walther, die vom 9. April bis zum 25. September zu sehen ist. Die von Artur Walther unter Beratung des verstorbenen Okwui Enwezor kuratierte Sammlung umfasst mehr als 500 fotografische Werke aus Nigeria, Südafrika, Kenia, Kamerun, Angola, der afrikanischen Diaspora und Europa.

Im Vorfeld der Ausstellungseröffnung am 9. April sprachen wir mit Gaensheimer über die Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus, den Wandel der Fotografie und darüber, warum das Erlebnis Museum nie ersetzt werden kann.

Prof. Dr. Susanne Gaensheimer, Director of the Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Photo: Andreas Endermann, 2017. © Kunstsammlung NRW.

Museen sind nicht nur Orte von Dokumentation und Archivierung, sondern auch dynamische Akteure, die zeitgenössische Diskurse abbilden, anstoßen und prägen. Mit der Ausstellung Dialoge im Wandel. Fotografien aus The Walther Collection, zeigt die Kunstsammlung mehr als 500 fotografischen Werken aus u.a. Nigeria, Südafrika, Kenia, Kamerun, Angola, der afrikanischen Diaspora und Europa. Inwiefern prägt postkoloniale Kritik die Ausstellung?

Beim Aufbau der Sammlung wurde Artur Walther maßgeblich von Okwui Enwezor, einem wegweisenden Kurator und Begründer der postkolonialen Kritik in der Ausstellungsarbeit, beraten. Auf gemeinsamen Reisen in unterschiedliche Länder Afrikas haben die beiden begonnen erste Werke zu erwerben. 2010 ist die erste große Sammlungspräsentation in Neu-Ulm daraus entstanden. Viele Themen und künstlerische Intentionen, die in der ersten Ausstellung sichtbar wurden, haben Enwezor und Walther beim Aufbau der Sammlung weiterverfolgt. So ist auch die Ausstellung, in der die Sammlung nun im K21 zu sehen ist, maßgeblich von Enwezors post- und dekolonialen Denken und Handeln geprägt.

Wie hat die black live matters Bewegung, die Kunst und Kulturlandschaft geprägt? Ist Dekolonialisierung vor allem ein Thema oder ist es auch eine Praktik, die sich auf Ankäufe, Zielgruppen oder z. B. die Neubewertung von Sammlungen auswirkt?

Die Ausstellung „Dialoge im Wandel“ ist aus den Diskussionen entstanden, die wir im Museum auch (aber nicht nur) im Zeichen der black lives matters Bewegung geführt haben. Besonders wichtig war uns mit der Ausstellung, die historischen Entwicklungen des künstlerischen Aktivismus sichtbar zu machen, der seit den 1940er Jahren bahnbrechende fotografische Bildprojekte hervorgebracht hat. Wir präsentieren Werke von Seydou Keïta, Malick Sidibé oder Zanele Muholi und zeigen dekoloniale Prozesse in ihrer historischen Tiefe. Zugleich befinden wir uns seit mehreren Jahren in einem Prozess, in dem wir das Museum Schritt für Schritt durch Neuwerbungen und ein vielstimmiges Ausstellungsprogramm erweitern. „Dialoge im Wandel“ ist ein zentraler Baustein der Öffnung.

Wie war die Zusammenarbeit mit The Walther Collection?

Wir schätzen die Zusammenarbeit sehr. Artur Walther und ich sind schon länger miteinander vertraut. Die Arbeit an einer gemeinsamen Ausstellung hat uns gegenseitig bereichert.

Samuel Fosso. "Self-Portrait (Angela Davis)", 2008. © The artist. Courtesy the artist, Jean Marc Patras, Paris and The Walther Collection, Neu-Ulm/New York.

Fotografien können zu einem Motor und Agenten werden, um Vorstellungen des Selbst und Selbstbilder zu entwickeln, zu prägen, zu bestätigen und auch zu verbreiten.

Seydou Keïta. "Untitled", 1952–1955. Courtesy CAAC - The Pigozzi Collection, Geneva and The Walther Collection, Neu-Ulm/New York.

Wie spiegeln sich historische und kulturelle Transformationsprozesse im Medium der Fotografie?

Fotografie ist in einem ständigen Wandel. In der Ausstellung zeigt sich, wie Fotografien zu einem Motor und Agenten werden können, um Vorstellungen des Selbst und Selbstbilder zu entwickeln, zu prägen, zu bestätigen und auch zu verbreiten.

Okwui Enwezor hat 2017 in einem Gespräch mit Artur Walther festgestellt: „I think that right now photography, whether it’s in Africa, Europe, or elsewhere, is at a turning point—photography is embattled. […] It’s embattled because photography is being overtaken, as a medium; it is being over-taken by technology and different forms of distribution.“[1] Diese Entwicklung hat sich in den vergangenen Jahren zugespitzt. Wie schätzen Sie das ein?

Enwezor trifft es auf den Punkt. In den letzten Jahren sind zahlreiche neue technologische Innovationen hinzugekommen. Der Bildbegriff hat sich weitergewandelt. Es entstehen neue fototechnische aber auch inszenatorische Möglichkeiten für Künstler*innen. Wir freuen uns in der Ausstellung Werke zu zeigen, die erst in den letzten Jahren in The Walther Collection eingegangen sind, darunter Mimi Cherono Ng’ok, Kudzanai Chiurai, Lebohang Kganye, Sabelo Mlangeni. Ihre Werke zeigen die Facetten dieser Veränderungsprozesse.

Düsseldorf ist ein prägender Standort für die Fotografie. In welchem Bezug stehen z. B. Arbeiten von Bernd und Hilla Becher, die auch Teil der Walther Collection sind, zu den afrikanischen Arbeiten, die hier gezeigt werden?

Die „Anonymen Skulpturen“ der Bechers zeigen wir – wie schon Enwezor 2010 – zusammen in einem Raum mit Werken von Malick Sidibé und J.D. ‘Okhai Ojeikere. In der Gegenüberstellung wird die Bedeutung typologischer, taxonomischer und serieller Strukturen für die globale Fotografie sichtbar. Es zeigen sich auch die komplexen und sich wandelnden Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Veränderungen, sozialen Identitätsprozessen und künstlerischen Bildproduktionen.

 

Nontsikelelo (Lolo) Veleko. "Nonkululeko", 2003. © The artist. Courtesy of the artist, Goodman Gallery, Johannesburg and The Walther Collection, Neu-Ulm/New York.

Die Erfahrungen der letzten beiden Jahre haben uns gezeigt, dass der Museumsbesuch nicht ersetzbar ist, aber erweitert und neu bzw. unterschiedlich erfahrbar gemacht werden kann.

Rotimi Fani-Kayode. "Untitled", 1987–1988. Courtesy Autograph ABP, London and The Walther Collection, Neu-Ulm/New York.

Wie glauben Sie, werden sich die Erfahrungen der letzten beiden Jahre in künstlerischen Arbeiten wiederfinden?

Das muss man erst sehen. Hito Steyerl hat in ihrer Ausstellung im K21 ja eine neue große Arbeit – SocialSim (2020) – entwickelt, in der sie die Pandemie bereits aus gesellschaftspolitischer Perspektive thematisiert hat. Diese Arbeit hat die Kunstsammlung erworben und wird in der Sammlung des K21 zu sehen sein.

Die Covid-Pandemie hat gezeigt wie wichtig es ist, dass Kulturinstitutionen auf vielfältige Art und Weise mit ihrem Publikum interagieren. Wie ist die Kunstsammlung in den vergangenen zwei Jahren mit der Situation umgegangen. Was haben Sie gelernt und was planen Sie für die Zukunft?

Wir haben bereits vor der Pandemie eine neue Website entwickelt, die uns als Plattform für multimediale Formate dienen sollte. Zu Beginn des ersten Lockdowns wurde diese neue Website gelauncht mit neuen Bewegbild-Serien, Podcast-Staffeln und unserem multimedialen Storytelling-Tool „K+ Digital Guide“ zu aktuellen Ausstellungen. Die Erfahrungen der letzten beiden Jahre haben uns gezeigt, dass der Museumsbesuch nicht ersetzbar ist, aber erweitert und neu bzw. unterschiedlich erfahrbar gemacht werden kann, indem man das Kunsterlebnis nicht nur analog denkt sondern auch digital. Daran wollen wir festhalten.

Was hoffen Sie, nimmt das Publikum aus der Ausstellung mit?

Einen vielfältigen und reflektierten Blick auf die Welt.